Niemand hat die Absicht...

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...nun denken die meisten, es folgt der verlogene Wortlaut von Walter Ulbricht. Nein!
Wieder war es die FiViA Berlin, die eine Absicht hatte, nämlich Filmautoren und Zeitzeugen zusammen zu bringen, ihnen eine Plattform für zeitgeschichtliche Dokumentationen zu bieten.
Dietmar Schürtz, der 1. Vorsitzende des Film- und Videoautoren Berlin e. V., hatte die Idee und organisierte gemeinsam mit dem »Theater am Park« am 12.11.2019 die Veranstaltung 30 Jahre Mauerfall - Leben mit und ohne Grenzen, Dokumentarfilme und Zeitzeugen.

Die großen Feierlichkeiten zum 30. Jahrestag des Mauerfalls waren gerade vorbei. Zahlreiche Fernseh- und Rundfunksendungen zum Thema lagen hinter uns.
Das Besondere an diesem Abend im TaP waren die Dokfilme und die Gespräche mit deren Autoren sowie die Zuschauer, die sowohl aus dem damaligen Westteil wie auch aus dem Ostteil kamen.

Dietmar Schürtz moderierte und entlockte den Autoren über ihren Film hinausgehende Einblicke, ganz persönliche Emotionen und Erinnerungen an die Zeit, in der Westberliner - egal wohin sie wanderten oder mit dem Fahrrad unterwegs waren - irgendwann an die Mauer stießen.

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Diddi Schürtz, Günter Fischer und Chris Byczkowski (v.l.n.r.)
Foto Armin Andreas
Den Anfang machte der Filmautor Günter Fischer (Filmgruppe 79). In seinem auf Super 8 gedrehten Dokumentarfilm »Seit 25 Jahren« von 1986 war der Autor mit dem Fahrrad unterwegs, um 25 Jahre nach Errichtung der Mauer das Leben in deren Schatten auf der westlichen Seite von verschiedenen Stellen, z.B. von der Stadtmitte bis nach Rudow zu dokumentieren. Er hat festgehalten, wie ein Teil der Mauer an der Friedrichstraße gelb angestrichen und anschließend von dem US-Amerikaner, Graffiti-Künstler Keith Haring, bemalt wurde. Das Besondere daran war, obwohl im Westen stehend, durfte dieser »Schutzstreifen« nicht betreten werden und die Grenztruppen der DDR machten der Aktion erstmal ein Ende. Der Filmer aber hielt aus, bis die Wachleute wieder abgezogen waren und der Künstler seine Arbeit zu Ende führen konnte. Belohnt wurde Günter Fischer dafür von Keith Haring mit einem Autogramm mit Zeichnung in seiner Kameratasche, die er auch an diesem Abend als Dokument dabei hatte.

In dem zweiten Film »Vor 25 Jahren«, HDV Video, ebenfalls von Günter Fischer stand die Aktion zum 25. Jahrestag des Mauerfalls im Mittelpunkt, bei der von unzähligen Helfern weiße Ballons entlang des ehemaligen Grenzverlaufs durch Berlin aufgestellt wurden. Der Autor hat mittendrin in diesem Festtagsgetümmel die Stimmung und den feierlichen Moment, in dem die weißen Ballons einer nach dem anderen in den Berliner Abendhimmel stiegen, mit seiner Kamera eingefangen. Der Film erhielt auf dem Bundesfilmfestival in Jülich eine Bronzemedaille.
Das Besondere an den beiden Filmen von Günter Fischer war die Gegenüberstellung: 25 Jahre nach dem Bau der Berliner Mauer und 25 Jahre nach deren Fall. Einst die Hilflosigkeit auf beiden Seiten und dann die im Film eingefangene gemeinsame Freude über die Aufhebung dieser Spaltung.

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Kleiner Saal im Theater am Park
Foto Armin Andreas
Der Berliner Autor Chris Byczkowski (BTA) war mit seinem Dokumentarfilm »Straße mit Vergangenheit«, gedreht auf Super 8 und DV, vertreten. Jahrelang dokumentierte er Ereignisse rund um die Bernauer Straße mit seiner neuen Super 8 Kamera - damals gerade neu nach Berlin gezogen -, die er dann später zu einem Film verarbeitete.
Zugemauerte Fenster, leerstehende Häuser, Fluchtversuche, Sprengung der Versöhnungs-kirche und dann das Bröckeln der Grenzmauer. Chris Byczkowskis Film enthielt Aufnahmen, die in der jüngsten Zeit in den Medien nicht direkt im Vordergrund standen. Der gefeierte Tag des Mauerfalls war für ihn sozusagen ein Ruhetag, an dem die Kamera Ruhe hatte und der Filmemacher ebenfalls, nämlich Bettruhe wegen Erkältung. Über diesen bedauerlichen Umstand plauderte der Autor in der kleinen Gesprächsrunde. Das Ergebnis war umso interessanter, weil den Zuschauern so eine Dokumentation über die Öffnung des Grenzübergangs Bernauer Straße, die erst um den 10. November 1989 erfolgte, gezeigt wurde. Der Autor stand mit seiner Kamera dort, wo er unbedingt die Freilegung des Zugangs zur U-Bahnstation Bernauer Straße, die einer der »Geisterbahnhöfe« war, festhalten wollte. Er war dort, wo auf beiden Seiten der Bernauer Straße die Menschen darauf warteten, endlich in den jeweils gegenüberliegenden Stadtteil gehen zu können. Die Szene, gefilmt aus einem Fenster von oben herab auf die sich langsam aufeinander zu bewegenden und friedlich begegnenden, sich »vermischenden« Menschen, mit dem ganz persönlichen Kommentar hat mich mit ihrer Symbolkraft sehr beeindruckt.

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Diddi Schürtz
Foto Armin Andreas
Den Abschluss des Abends bildete ein Film von Dietmar Schürtz. »Neugier und Bewährung«, 16 mm Film, gedreht im Jahr 1988. Er begleitete junge Frauen, die sich für die Ausbildung bei den Grenztruppen der Nationalen Volksarmee der DDR entschieden hatten. Die Kamera ist beim Einzug in die Kaserne, bei der Ausgabe der Uniformen dabei und bringt mit Großaufnahmen den Zuschauern die Anstrengungen, Ideale und Beweggründe der Bewerberinnen für diesen Dienst nahe. Interviews von erstaunlicher Offenheit über unterschiedliche Motivationen unterstützen das. Es ist ein Film über Frauen, die ausgebildet wurden, um einmal die Grenze der DDR zu schützen.
Mit dem 9. November 1989 löste sich dieses Ziel in Luft auf. Einige Jahre später gelang es dem Autor, einzelnen Frauen des Films noch einmal Fragen zu stellen. Darin kamen sowohl tiefe Enttäuschung als auch die Freude über das vereinigte Deutschland zum Ausdruck.


Der Abend war für alle Zuschauer ein Gewinn. Ganz besonders waren sich die Anwesenden darüber einig, dass es von Anfang an ein sehr gutes Verhältnis zwischen den Amateurfilmern aus Ost- und Westberlin gegeben hat. Der Austausch war für beide Seiten wichtig. Dazu haben auch die zahlreichen Festivals des BDFA beigetragen, die im Landesverband Berlin/Brandenburg ausgerichtet wurden, vor allem von der FiViA Berlin, dem ars cinema und den Videofilmern Senftenberg.

Sigrid Tzschichhold
FiViA Berlin